Ort

Lungomare

Kuratiert von

In Zusammenarbeit mit:
Studienverlag (Innsbruck, Wien, Bozen)

Mitwirkende
Forma Urbis

Alessandro Banda

Ein oder zwei Jahre bevor Pier Paolo Pasolini starb (und wir wissen alle, auf welche Art und Weise), nahm er an einer Fernsehsendung teil. Man weiß, wie sehr Pasolini das Fernsehen verabscheute; doch so schier widersprüchlich, wie er war und davon durch und durch gekennzeichnet war, nahm er dennoch daran teil. Die Fernsehsendung hieß Io e … Worum ging es? Eine namhafte Person aus der Literatur, der Politik oder vom Theater war aufgefordert, ihre Vorlieben im Bereich der Kunst anzugeben und – genau genommen – ein Werk zu benennen, das ihr in besonderer Weise nahestand: Ein Bild, das sie mehr als andere liebte, ein Fresko oder ein Gebäude. Pasolini, Schüler von keinem Geringeren als Roberto Longhi, war auf diesem Gebiet kein Laie. Er wählte weder ein Bild noch ein sogenanntes Kunstwerk, sondern eine Stadt, genauer: die Form der Stadt. Nämlich die Form der kleinen Stadt „Orte“, die damals, 1973 oder 1974, vor allem als Bahnknotenpunkt bekannt und gerade in ihrer Unversehrtheit sehr gefährdet war. Auf dem kleinen Bildschirm konnte man also den Dichter sehen, wie er auf einen Pflasterstein einer Gasse in „Orte“ hindeutete oder auf ein ausgebrochenes, gelbliches Mauerstück und klagend meinte: „Auch das da ist Teil der Form von ,Orte‘, und ich möchte, dass es gerettet wird.“
Ich glaube nicht, dass die Wahl auf ein Städtchen wie „Orte“ zufällig fiel. Die reduzierten Dimensionen dieses kleinen Ortes im Hohen Tibertal stellten auf ihre Weise eine – wenn auch sehr unsichere – Gewähr für die Bewahrung einer Form dar. Im Vergleich dazu war etwa Rom – um es gleich zu sagen – bereits verloren, und das seit Anfang der 50er-Jahre. Tatsächlich ruft Pasolini in der Prosa jener Zeit Rom wiederholt mit einem bezeichnenden Verb auf: beschmieren. Wie viele Male stößt man in seinen Romanen und Drehbüchern aus jener Zeit auf einen Satz wie diesen: Rom war an den Horizont geschmiert. Rom war also keine Form; es war ein aufgebrochener, überlaufender Haufen, ohne Zusammenhang und Grenze, wie eine Gallertmasse und Creme zum Verschmieren.

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Selbstgespräch über Stalker und "die Nomaden"

Francesco Careri
Über die ersten missglückten Begegnungen

“Niemand von uns hatte vorher einen direkten Bezug zu den Roma, die Reise war also ein wichtiges gemeinsames Wachsen. Wir sind bei Null gestartet. Als wir 1995 zum ersten Mal die Stadt Rom durchforsteten, gingen wir am Eingang des Quintilian-Lagers vorbei und betraten es nicht. Es war später Nachmittag, wir waren müde und suchten einen Ort für ein Nachtlager. Auf einer Wiese, die die Albaner für ihre Kinder zum Fußballspielen hergerichtet hatten, ließen wir uns nieder. Ich erinnere mich daran, dass wir mit einem Mann gesprochen haben, der großgewachsen und schön war, mit tiefblauen Augen und einer weisen Ausstrahlung. Er erinnerte mich an Melquiades, an jenen Zigeuner aus „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Garcia Marquez. Melquiades und die anderen Albaner hatten ein altes Gehöft besetzt und es in ein Haus für mehrere Familien mit einem gastfreundlichen Ambiente verwandelt. Auf unsere Frage, ob wir in jenem Feld schlafen dürften, antworteten sie, wie glücklich sie wären, Gäste zu haben und dass wir unsere Zelte gerne aufschlagen könnten.”

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Erzählungen von der Stadt jenseits der Moderne

Carl Fingerhuth

Die Zeit der Moderne war eine Expedition in die Tiefe des mentalen Potenzials des Menschen. Es war eine Zeit der Erforschung, des Erkennens und des Beschreibens der physischen Welt. Dabei war der Raum eines der zentralen Forschungsprojekte – in der Astronomie, der Physik oder der Architektur und der Stadtplanung. Im Übergang von der mythischen Bewusstseinsstruktur in die mentale Bewusstseinsstruktur der Moderne wurde die dreidimensionale Gestalt des Raumes erkannt und interpretiert. Künstler zeichneten die ersten perspektivischen Bilder, mit einem definierten Standpunkt des Betrachters und einem Fluchtpunkt, der vom Standpunkt bestimmt war. Häuser und Städte wurden nach Plänen gebaut, in denen die ideale Gestalt über das Denken der Menschen festgehalten wurde.

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Die unerträgliche Existenz der Städte

Fotografie und kollektive Imagination
Francesco Jodice

Am 22. November 1963 filmte der texanische Unternehmer Abraham Zapruder, der in Kovel in der Ukraine geboren wurde und als jüdischer Russe noch als Kind nach Brooklyn auswanderte, mit seiner Bell & Howell 8-mm-Kamera mehr oder weniger zufällig den Mord an J. F. Kennedy in Dallas. Durch die Zerlegung des kurzen Filmstreifens in einzelne Fotostills brachte der damalige Staatsanwalt Jim Garrison das Lügengebäude der Warren-Kommission zum Einsturz und wies die Beteiligung von Geheimdiensten, Militär und Parlamentsabgeordneten am Mordkomplott nach. Damit veränderte Garrison ein für allemal die Auffassung, die die Amerikaner von der eigenen Geschichte hatten.

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Urbane Grammatik

Ein Interview mit Arno Ritter
von Angelika Burtscher

“Stadt definiert sich für mich unter anderem über Architektur und Bauten, die als Hintergrund und als gestalteter Raum urbanes Leben ermöglichen. Ein wichtiges und prägendes Moment von Urbanität ist eigentlich der Raum zwischen den Gebäuden – Straßen, Plätze und öffentliche wie private Räume –, der viel zu wenig beachtet und diskutiert wird. Denn wenn man sich an gewisse Städte erinnert, dann kommen einem weniger einzelne Bauten als ihre Zwischenräume, ihre Stimmungen und teilweise ins Unbewusste abgespeicherte Atmosphären in den Sinn. Man könnte auch vom „genius loci“ – einer nur schwer zu beschreibenden spezifischen Aura oder Textur einer Stadt – oder von einer urbanen Grammatik sprechen. Denn bevor eine Stadt auf globale Allerweltszeichen setzt, lohnt es sich, ihre spezifischen Potenziale für den urbanen Alltag zu überdenken. Egal ob eine Stadt groß oder klein ist – Urbanität kann sie weder erfinden noch herstellen; nicht mal darstellen: Urbanität ist unsichtbar.”

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Ausschweifungen

Ein Gespräch mit Joseph Rykwert
von Roberto Gigliotti

“Aus meiner Sicht ist der Tourismus eine grundlegend destruktive Zivil- und Gesellschaftsfunktion. Vor allem weil der Tourismus saisonal ist, und eine Stadt sich während der touristischen Saison füllt und dann wieder leert. Man könnte das Gleiche auch über die Universität sagen, denn die Studenten sind während des Semesters da. Das ist in allen Universitätsstädten so: In Cambridge, Oxford, Cambridge Massachussets, New Haven, Alcalà oder Padua. Doch rund um die Universität entwickelt sich ein Leben, das nicht saisonal ist – so ist zum Beispiel die ganze universitäre Infrastruktur und der Lehrkörper dauerhaft in die Stadt integriert.”

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Traum Stadt Wir

Ferdinand Schmatz

Werk des Zufalls oder Werk des Plans, der Sinne oder des Verstands, was ist uns die Stadt?

Mitten in mir liegt ein Wald, er breitet sich aus, die Äste verzweigen sich, treten aus meinem Körper hinaus, treiben in den Asphalt, Sprünge bilden sich aus und Gras beginnt darin zu sprießen. Ich wünschte mir, zu verwachsen mit der Stadt, in die ich reisen wollte, also band ich mich los und in sie ein. Auch mein Kopf öffnete sich und gab eine Landschaft frei. Was sich da zeigte, waren Hügel, Täler, Höhlen, Nischen, aber auch Zeilen aus Bäumen, Alleen, der Grad höchster Ordnung. Ich suchte eine auf und glaubte mich im Bezirk der Vorstadt – oder war es der Bezirk des Verstands. Wie kam ich da raus? Er hatte Verwinkelungen, ich sprang über diese hinweg und lief schnurgerade davon. Ich wollte ein Zentrum betreten, den Kern erreichen – und fand mich an der Schwelle eines Tores wieder.

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Wörter brauchen keine Seiten / Le parole non hanno bisogno di pagine
Sinfonien einer Landschaft

Mit Boris Sieverts durch den Süden Luxemburgs

Wir gehen weiter und gelangen an die Bahngleise der Bahnstrecke Luxemburg–Belgien. Gegenüber sehen wir ein riesiges, ausgeräumtes und mit Rasen eingesätes Industrieplateau liegen. Es war das größte Industriegebiet Frankreichs. In den 80-Jahren fanden dort in Longwy wichtige Arbeitskämpfe statt. Heute ist diese große Fläche extrem bizarr und teilweise auch schön. Auf dem Plateau liegen riesige Rasenflächen neben Gewerbegebieten. Zusammen mit Luxemburg und der belgischen Seite bildet es das „Pol european de dévelopment“. Es gibt drei Varianten, wie hier mit der Großindustrie umgegangen wird: Die Franzosen lassen sie spurlos verschwinden, die Belgier brachfallen, wie hier, und die Luxemburger – denen es wirtschaftlich gut geht – planen und konvertieren die Flächen. Die Luxemburger sind schnell und realisieren die Pläne, sie sind imstande die Industriegesellschaft in eine Dienstleistungsgesellschaft zu transformieren.

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Napoli Parking

Eine Intervention von Benjamin Tomasi
Kuratiert von Angelika Burtscher

Die Bewohner von Neapel erzählen oft mit Sehnsucht vom Parco delle Rimembranza, der eigentliche Parco Virgiliano, der bis in die Mitte der 90er-Jahre für die liebenden Paare und ihre Autos offenstand. Der Platz soll romantischer gewesen sein, er war Sportplatz, Spazierweg, ein Ort für öffentliche Konzerte und gleichzeitig ein Ort der Liebe.

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Flyer: Napoli parking
Flyer: Napoli Parking

 

Benjamin Tomasi: Napoli Parking

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Design: Lupo & Burtscher

Mit Unterstützung von

Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Kulturabteilungen
Stiftung Südtiroler Sparkasse
Stadt Bozen, Amt für Kultur
Autonome Region Trentino-Südtirol
Fördermitglieder 2008:
Parkhotel Laurin, EOS – Solution for Business, Heinrich Gasser