FLUX AKTIONEN
Interdisziplinäre Streifzüge, Workshops, Performances und temporäre Interventionen im öffentlichen Flussraum
FLUX – Aktionen und Raumerkundungen entlang der Flüsse ist ein zweijähriges Projekt von Lungomare, das sich mit den Flusslandschaften Bozens aus vielseitigen Perspektiven auseinandersetzt. Gemeinsam mit lokalen und internationalen Künstler:innen, Architekt:innen und Forscher:innen sowie durch das Einbeziehen von Alltagsperspektiven erkundet Lungomare die drei Flüsse Etsch, Talfer und Eisack und ihre angrenzenden öffentlichen Räume. Der Flussraum ist für viele Bewohner:innen für eine lebenswerte und gemeinschaftliche Stadt von wesentlicher Bedeutung.
Anhand vielfältiger Aktionen wie Workshops, Performances, Installationen und Streifzüge werden unentdeckte Potenziale der Flusslandschaften gemeinsam mit der Stadtbevölkerung ausfindig gemacht, um eine Wunschproduktion anzuregen. Durch künstlerische und gestalterische Interventionen werden Menschen und Orte verbunden, um auf gesellschaftliche Veränderungen aufmerksam zu machen, Geschichte(n) zu erzählen und Begegnungsräume zu schaffen.
Über das Jahr 2022 hinweg verändern wir so die Wahrnehmung der Flusslandschaft in Bozen, legen Entwicklungsmöglichkeiten dieses öffentlichen Raumes offen und schaffen eine Vielzahl von geteilten Nutzungsvisionen. Dieser vielschichtige Erkundungsprozess möchte Bedürfnisse und Ideen katalysieren, um sie im darauffolgenden Jahr in temporäre Interventionen zu übersetzen und so neue Zugänge und Gemeinschaftsräume entlang der Flüsse zu gestalten.
2022 und 2023 werden Johanna Dehio + Johanna Padge, Futurefarmers, Herwig Turk und Sööt/Zeyringer den Bozner Flussraum aus verschiedenen Perspektiven künstlerisch untersuchen, bespielen und neu interpretieren.
Johanna Dehio + Johanna Padge
FIUMICINA – Eine offene Küche am Fluss
FIUMICINA initiiert als erste Phase im Juli 2022 gemeinsam mit Bewohner:innen und Expert:innen entlang des Flussufers der Eisack eine 3-tägige improvisierte Küche sowie drei Workshops zu den Themen: Bauliche Improvisation, Spontane Kräuter am Fluss, Experimentelles Kochen und Backen.
Neben einem Ort der Zubereitung ist die Küche auch ein Ort der Begegnung und das Kochen ein Anlass zum Austausch. FIUMICINA lädt ein, den städtischen Naturraum zu erkunden und während des Zubereitens von einfachen Speisen gemeinsame Potentiale, Bedürfnisse und Wünsche für einen neuen öffentlichen Ort am Fluss zu diskutieren.
Wie erleben wir die öffentlichen Räume und welche Rolle spielt die Gemeinschaft dabei? Wie verändert sich unser Zugang zu unserer städtischen Umgebung, wenn wir sie sinnlich erfahren – riechen, anfassen, essen? Welches Verständnis von unserem Bezug zur Natur bringt eine solche Erfahrung mit sich? Und umgekehrt betrachtet: welche Rechte und vielleicht auch Wünsche haben die Flüsse selbst? Sind sie nutzbare Ressource, schützenswerte Umwelt oder sogar beides? In welchem Zusammenhang steht unsere körperliche und auch mentale Gesundheit mit unserer Umgebung und unserem Umgang mit ihr?
Die Erfahrungen und das erworbene Wissen aus den Workshops übersetzen wir in Konzepte und Entwürfe für eine temporäre oder fest installierte Küche, die 2023 an den Flussufern der Stadt entsteht.
Die Designerin Johanna Dehio (*1984) arbeitet in unterschiedlichen Konstellationen an angewandten Forschungs- und Designprojekten im sozialen und kulturellen Kontext. Verschiedene Aspekte von Improvisation dienten immer wieder als Impuls und Inspiration für ihre Arbeit, die die Beziehung zwischen Mensch, Objekt und Raum als Thema hat. Alle Aspekte des Design sind auf das Lebensumfeld und die Situation des Menschen zurückzuführen und darin kontextualisiert. In mehreren Kooperationsprojekten bezieht sie sich auf das Kochen als Metapher für kulturelle Prozesse und nähert sich so komplexen Fragestellungen anhand von exemplarischen praktischen oder sinnlichen Erfahrungen. Sie lehrt an der Universität der Künste Berlin (UdK), der Freien Universität Bozen (unibz) und der HfbK Hamburg und hält Workshops und Vorträge.
Johanna Padge studierte Design und Kunst in Halle und Hamburg. Sie ist Tischlermeisterin und arbeitete im Handwerk und in Bildungsprojekten in Frankreich, Deutschland, Mali und Mosambik. Als Gestalterin setzt sie sich mit den Themen partizipative Gestaltung, Teilhabe und Stadtplanung auseinander. Ihre Arbeiten nehmen Form an in gestalteten Räumen, Ausstellungen, Publikationen, Archiven, Workshops und Gesprächen. Ihr Interesse gilt hier sowohl der sozialen als auch der gebauten Architektur, die sie als prozesshaft begreift.
Herwig Turk
Raum für Flüsse
Das Projekt „Raum für Flüsse“ ist ein Wissens- und Vermittlungsort über die Flusslandschaften in Bozen, der 2023 im öffentlichen Raum entlang der Talfer eröffnet wird. Ein Ort, an dem Flüsse nicht nur als fließendes Wasser verstanden werden, das im Flussbett innerhalb der Ufer zu sehen und hören ist, sondern an dem auch weniger offensichtliche Verbindungen und Beziehungen sichtbar gemacht werden.
Ein Flusssystem ist eingebettet in Kreisläufe, die unter dem Flussbett in Verbindung mit dem Grundwasser stehen, aber auch mit den Luftströmen und der Luftfeuchtigkeit, welche bis zu 20 Meter über dem Wasser noch wirkt. Die Interaktion mit den angrenzenden Flächen, den Ufern, den Pflanzen, den Sand- und Schotterbänken sowie dem Totholz ist essentiell für ein funktionierendes Flusssystem, das im Alpenraum nur mehr schwer zu finden ist.
Auch Bozen hat weitestgehend den Kontakt zu seinen drei Flüssen und großteils unterirdischen Verbindungsbächen verloren, da es im Zuge von Raumverteilungsfragen zu Einhegungen, Regulierungen und Umleitungen gekommen ist und erst jetzt die Ressource Wasser als knappes Gut wahrgenommen wird.
„Raum für Flüsse“ wird so zu einer Botschaft und einer Interessenvertretung der Wassersysteme, die uns die Bedeutung der (wilden) Flüsse sowie deren Mehrwert für die ökologischen Kreisläufe, aber auch für den Menschen in Erinnerung ruft. Durch Flusstouren mit Expert:innen und dem Künstler werden für die Teilnehmenden die Lesbarkeit und die Wahrnehmung des Flusssystems erweitert und eine neue Beziehung zu den Flüssen ermöglicht.
Herwig Turk lebt und arbeitet in Wien und Lissabon. Seine Projekte kreieren Berührungspunkte im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Wissenschaft. Von 2010 bis 2013 war er „Artist in Residence“ am IMM (Instituto da Medicina Molecular), Lissabon. Von 2003 bis 2009 arbeitet Turk mit Paulo Pereira, dem Leiter der ophthalmologischen Abteilung von IBILI (Institute for Biomediacal Imaging and Life Sciences, Coimbra), zusammen. In den letzten Jahren wurden seine Arbeiten unter anderem im MMKK Museum Moderner Kunst Kärnten in Klagenfurt, im MAK Museum für angewandte Kunst in Wien, im Seoul Museum of Art in Südkorea, im Neues Museum Weserburg in Bremen, im TESLA Labor für Medienkunst in Berlin, in der Galerie Georg Kargl in Wien und bei der Transmediale in Berlin gezeigt. Seit 2014 unterrichtet er als Senior Artist in der Abteilung Social Design an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Sööt/Zeyringer
Semiotik der Flussufer
eine Performance von Sööt/Zeyringer (Wien/Bucharest)
mit Santija Bieza, Merve Bektas, Valerio B. Moser, Prisca Prugger, Oscar Mauricio Rueda Gonzalez
Die Live-Performance hat am 10.06.2022 stattgefunden.
„Semiotik der Flussufer“ ist eine Performance von Sööt/Zeyringer (Wien/Bukarest), die das Künstlerinnenduo gemeinsam mit einer Gruppe von Stadtbewohner:innen für die Flussufer der Stadt Bozen entwickelt hat.
Wenn öffentliche Räume durchkreuzt und gelebt werden, erfahren wir eine Vielzahl von Emotionen, die unser Verhalten beeinflussen und oft gegensätzliche Gefühle wie Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Macht, Angst und Unsicherheit auslösen. Die Performance „Semiotik der Flussufer“ nimmt die Angst zum Ausgangspunkt, die viele Menschen erleben, wenn sie sich entlang der städtischen Flussufer bewegen. Vor allem Frauen und Stadtbewohner:innen aus marginalisierten Gruppen sind in diesem Raum Belästigungen, sowie verbaler und physischer Gewalt ausgesetzt.
Bezugnehmend auf die Arbeit „Semiotics of the Kitchen“ von Martha Rosler erarbeitet Sööt/Zeyringer in einem gemeinschaftlichen Prozess eine Serie von Bewegungsabläufe, Wortfragmente und Aktionen, welche die Wahrnehmung der Flussufer verändern, um symbolisch und aktiv jene Menschen zu stärken, die Belästigungen und Gewalterfahrungen ausgesetzt sind.
Die Performance wurde am 10. Juni 2022 an drei unterschiedlichen Orten zwischen 21 und 24 Uhr entlang der Bozner Flussufer uraufgeführt.
Unter dem Namen Sööt/Zeyringer arbeiten die Künstlerinnen Tina Sööt und Dorothea Zeyringer an der Schnittstelle von bildender Kunst, Tanz und Theater. Ihre Performances thematisieren persönliche und gesellschaftspolitisch relevante Themen, die sie zu poetischen und humorvollen Bewegungsabläufen und Erzählungen zusammenfügen. In ihren jüngsten Arbeiten erforschen die beiden Künstlerinnen die weibliche Wut und dokumentieren die vergessene Geschichte der Slapstick-Komikerinnen.
Tiina Sööt lebt und arbeitet in Bucharest, Wien und Tallinn. Sie ist Performance- und bildende Künstlerin. Nach dem Bachelor in Ökologie und Theaterwissenschaft, erhielt sie ihren Mag. art. in Kunst an der Estnischen Kunstakademie (2013). Außerdem hat sie an der Akademie der bildenden Künste Wien in der Klasse Performative Kunst studiert. Tiina Sööt ist seit 2012 Teil des Künstlerinnenduos Sööt/Zeyringer. Zusätzlich entwickelt Tiina eine dokumentarische Performance-Praxis mit Aet Kuusik mit Schwerpunkt auf Feminismus, Geschlecht und Sexualität.
Dorothea Zeyringer lebt und arbeitet in Wien. Sie diplomierte an der Akademie der bildenden Künste Wien und studierte am HZT (Zentrum für Tanz) Berlin. Sie war danceWEB Stipendiatin bei ImPulsTanz 2017 und erhielt das Startstipendium des Bundeskanzleramt Österreich. Sie arbeitete als künstlerische Assistentin von Michikazu Matsune und unterrichtete an der Akademie der bildenden Künste Wien in den Bereichen Performance und Forschung. Als Teil des Künstlerinnenduos Sööt/Zeyringer bewegt sich ihre künstlerische Praxis zwischen bildender Kunst, Choreografie und Sprache.
Futurefarmers
Ein Mäander
„Ein Mäander” ist ein mehrjähriges Projekt des Künstlerkollektivs Futurefarmers, mit dem Ziel, eine permanente künstlerische Installation entlang der zwei Flüsse Talfer und Eisack in Bozen zu realisieren. „Ein Mäander“ bringt Menschen in neue Beziehungen zu den vielfältigen Phänomenen des fließenden Wassers, das wir „Fluss“ nennen: Geschichten, Vorstellungen, Ebbe und Flut, Uferlinien, Fiktionen, Sedimentationen, Lebensformen, Fossilien, Samen und das Potenzial seiner Kraft. Ausgehend von der menschlichen (und sehr lokalen) Geschichte der Gewinnung kinetischer Energie aus sich bewegenden Wasserkörpern laden wir dazu ein, diese Vergangenheit durch künstlerische Untersuchungen und Aktionen zu überdenken. Der Klang wird dabei zu einem verbindenden Element und einem Impuls, um darüber zu reflektieren, wie wir mit dem „Fluss“ (und all seinen Bewohner:innen) zusammenleben – wie wir ihn geformt haben und vor allem wie er uns geformt hat und kontinuierlich formt.
Akt 1: Ein Mäander mit Flussfreund:innen
Im Mai 2022 erkunden Futurefarmers unterschiedliche Orte entlang der Flüsse in Bozen und verwandeln sie in einen offenen Klangraum. Mobile Wasserräder werden zu einer Möglichkeit, mit dem Fluss in Kontakt zu treten, der durch seine Strömung Partituren schafft.
Die „relationalen Objekte“ eröffnen einen Raum des Hinterfragens und des gemeinsamen Dialogs. Es entstehen Ideen über die Kraft des Flusses, sein Ökosystem, seine Geschichte und ein gemeinsames Interesse, den Klang als Medium zu benutzen, um die Auseinandersetzung mit dem Fluss und den Bewohner:innen der Stadt zu verstärken.
Akt 2: (Kom)positionen mit dem Fluss
Im zweiten Akt von „Ein Mäander“ vertiefen Futurefarmers die transformative Kraft des Klangs, um die dichten Verflechtungen des Flusses sichtbar zu machen. Sie laden dazu eine Gruppe von Klangkünstler:innen ein, die sich mit dem Fluss als Schnittstelle zwischen Mensch, Wasser und Kontext beschäftigen: Passant:innen, Vogelgesang, Züge, das Leben im Wasser und das Unerwartete. Der zweite Akt ist ein 2-tägiges Programm bestehend aus Konzerten, Performances, Workshops, Skulpturen und dem gemeinsamen Erleben des Sonnenaufgangs – Aktionen, die sich überschneiden und ineinander übergehen. Sie laden ein, in eine sensible, auditive Verbindung mit dem Fluss zu treten, um die Beziehung zu ihm und der Stadt, die er speist, neu zu beleben.
Futurefarmers ist ein Netzwerk aus Künstler:innen, Architekt:innen, Anthropolog:innen und Landwirt:innen, deren gemeinsames Interesse dem „Rekalibrieren“ unserer Sinne gilt – für ein verstärktes Aufmerksamwerden auf die vielgestaltigen Dimensionen dieser Welt, der belebten wie unbelebten. Das Kollektiv arbeitet an den Schnittstellen zwischen Kunst, Architektur und Stadtplanung. Der Prozess der Verhandlung zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen und Kulturen hat in ihrer Arbeit eine zentrale Bedeutung. Futurefarmers schafft oft relationale Skulpturen, die den Teilnehmer:innen spielerische Einstiegspunkte und „Werkzeuge“ bieten, um Einblicke in tiefere Untersuchungsfelder zu gewinnen – nicht nur, um sich etwas vorzustellen, sondern auch, um die Orte, in denen wir leben, mitzugestalten und Veränderungen zu initiieren. Diese „Werkzeuge“ und skulpturalen Requisiten bilden eine visuelle und materielle Sprache, die sich mit einer immateriellen und relationalen Praxis verbindet.
Jahr
2021 – ongoing