Die Andersartigkeit als Potential
Lungomare veranstaltet dieses Jahr zum zweiten Mal die Reihe „Die Andersartigkeit als Potenzial“ und lädt Künstler*innen, Gestalter*innen und Theoretiker*innen zu Gesprächen, Workshops und Performances ein.
Im Rahmen dieser Reihe lenkt Lungomare den Fokus auf die Stadt und auf ihre soziale und politische Funktion. Die Stadt und ihre öffentlichen Räume sind Orte, in denen die Veränderungen, die aktuell in unserer Gesellschaft stattfinden, sicht- und erfahrbar werden. Sie sind Orte des Kontakts und der Begegnung zwischen verschiedenen Kulturen und Menschen und werden zu Orten, an denen die Andersartigkeit öffentlich zum Ausdruck kommt. In der Reihe zeigen wir Praxisbeispiele und diskutieren über die städtischen Räume, die sich kontinuierlich verändern, indem sie Aspekte wie die „Anderen“, „Identität“, „Zugehörigkeit“ und „Gastfreundschaft“ in Beziehung setzen. Welche Potenziale hat der öffentliche Raum und wie kann er als Teil eines Integrations- und Transformationsprozesses einer Gesellschaft verstanden werden?
7.10.2019
19 Uhr
Thin Attachments: Writing Berlin in Scenes of Daily Loves
mit Omar Kasmani und Anna Fedele
im Zusammenarbeit mit: EVAA, Ethnologischer Verein Südtirol
in englischer Sprache
Der Auftakt der Reihe bildet ein Abend mit Omar Kasmani, pakistanischer Kulturanthropologe mit Wohnsitz in Berlin, der einen Teil seiner Forschungsarbeit vorstellt. Anschließend gibt es ein Gespräch mit Anna Fedele, Anthropologe und Soziologin aus Bozen.
THIN ATTACHMENTS: READING BERLIN
Das Projekt erzählt von persönlichen Erinnerungen an eine affektive Geographie der Stadt Berlin und zeichnet eine Konstellation von nichtlinearen Fragmenten nach, die in der männlichen Form und der dritten Person geschrieben sind. In “Scenes of Daily Loves” kreuzen sich Queers und Sufis der Stadt, Heilige und Fremde, Liebende und Forschende bei der Arbeit, in Cafés, in Moscheen, online und im Bett. Queer sein, auf der Flucht sein und das Ausüben eines Glaubens sind Teile der Geografie einer Stadt, einer täglichen Routine und von täglichen Gewohnheiten, sie sind privat aber werden gleichzeitig zu Szenen einer öffentlichen Intimität. Die Erzählung des Intimen und Privaten wird zu einer Möglichkeit, um an eine Stadt voller Geister, Träume, Erinnerungen, Phantasien und Ängste zu denken, an eine Stadt, die so brüchig ist, dass ihre Grenzen nie scharf gezogen werden können.
Omar Kasmani – geboren und aufgewachsen in Karachi, Pakistan, ist Kulturanthropologe und ehemaliger Architekt und lebt in Berlin. Derzeit ist er Postdoc-Stipendiat der Affective Societies, einem Forschungsbereich der Freien Universität Berlin. Seine Arbeit verfolgt Ideen von post-migrant be/longing, queer futuritiesund der Public Intimacy– eine Forschungspraxis, die am besten über das Studium der Religion, queer worldingsund Affekttheorie gelesen wird. Er hat das Buch Muslim Matter (Revolver Publishing 2016) mit herausgegeben und arbeitet derzeit an seiner ersten Monographie über heilige Intimität in einer Pilgerstadt in Pakistan.
Anna Fedele – ist eine Ethnologin und Soziologin aus Bozen. Sie erforscht die Überschneidungen von Religion, Gender und Körperlichkeit und arbeitet momentan als Senior Researcher am Lisbon University Institute in Portugal. Ihre Monographie “Looking for Mary Magdalene” (Oxford University Press, 2013) wurde mit dem internationalen Preis Award for Excellence of the American Academy of Religion ausgezeichnet. Anna ist Mitglied des EVAA Vorstandes und in letzter Zeit interessiert sie sich fuer das Studium der Pilgerreisen in den Alpen. Anna ist Mitherausgeberin der Bücherreihe “Gendering the Study of Religion in the Social Sciences” bei Routledge.
22.10.2019
19 Uhr
mit Lauren Alexander
Der zweite Termin mit Foundland Collective, der 2009 von der Südafrikanernrinnen Lauren Alexander und der Syrerin Ghalia Elsrakbi gegründet und hat seinen Sitz seit 2014 zwischen Amsterdam und Kairo.
Die Zusammenarbeit des Duos erforscht untervertretene politische und historische Erzählungen, indem es mit Archiven über Kunst, Design, Schreiben, Bildungsformate, Video-Making und Storytelling arbeitet. Während ihrer gesamten Entwicklung hat das Duo kritisch darüber nachgedacht, was es bedeutet, politisch engagierte Arbeiten aus der Position nicht-westlicher Künstler zu produzieren, die zwischen Europa und dem Nahen Osten arbeiten.
Foundland erhielt 2015/2016 das Smithsonian Artist Research Fellowship für die Forschung im größten arabisch-amerikanischen Archiv und wurde 2015 für den niederländischen Prix de Rome sowie 2016 für die Dutch Design Awards nominiert. Im Jahr 2017 wurde ihr Kurzvideo “The New World, Episode One” im Centre Pompidou, Paris, uraufgeführt und 2018 auf dem Rotterdam International Film Festival gezeigt. Das Duo hat in Europa, den Vereinigten Staaten und dem Nahen Osten zahlreiche Vorträge gehalten und ausgestellt, darunter beim ISPC, New York, Ars Electronica, Linz, Impakt Festival und BAK, Utrecht, London Art Fair, Beursschouwburg, Brüssel, Fikra Biennale, Sharjah und Tashweesh Feminist Festival, Kairo und Brüssel. Einige von Foundlands Videoarbeiten werden vom niederländischen Medienkunstarchiv LIMA, Amsterdam, aufbewahrt und verteilt.
Memory Archives for the Future
Foundland Collective zielt darauf ab, analytische und unkonventionelle Forschungsmethoden zu entwickeln, um komplexe Ereignisse um uns herum zu verstehen, zu interpretieren und abzubilden, insbesondere in Bezug auf Konfliktsituationen und Migration. Durch eine Reflexion über mehrere Projekte des Foundland Collective, die sich mit Archivmaterial befassen, werden wir die Relevanz der Dokumentation und Interpretation persönlicher Sammlungen diskutieren.
26.11.2019
19 Uhr
Nasrin Mohiti Asli (Orizzontale)
im Gespräch mit Campomarzio
in italienischer Sprache
Der dritte Termin der Konferenzreihe stellt Orizzontale, ein Architektenkollektiv mit Sitz in Rom vor, dessen Tätigkeit Architektur, Landschaft, Kunst im öffentlichen Raum und DIY Praktiken umfasst.
Seit 2010 entwickelt Orizzontale relationale Projekte im öffentlichen Raum und gibt Bildern von verlassenen oder unsichtbaren Städten eine Form. Die Projekte eröffnen ein Experimentierfeld für neue Arten der Interaktion zwischen Bewohner*innen und städtischen gemeinschaftlichen Gütern und stellen gleichzeitig eine Gelegenheit dar, die Grenzen des architektonischen Gestaltungsprozesses herauszufordern.
Orizzontale besteht derzeit aus: Jacopo Ammendola, Juan Lopez Cano, Giuseppe Grant, Margherita Manfra, Nasrin Mohiti Asli, Roberto Pantaleoni, Stefano Ragazzo.
GEMEINSCHAFTSRAUM NEU BEWOHNEN UND NEU DENKEN
Orizzontalte agieren als Architek*innen im öffentliche Raum, jener Dimension in der wir als Bewohner*innen jeden Tag leben. Die fortschreitende Entfremdung der Gemeinschaften von den kollektiven Räumen der Stadt und die rasante Entwicklung der Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft, haben das Kollektiv veranlasst, Untersuchungen zu initiieren, die den öffentlichen Raum ins Zentrum rücken.
Mit dem Ziel Ursachen der “Desertifikation” zu erforschen und auf neue soziale Bedürfnisse zu reagieren, experimentiert Orizzontale mit neuen Formen der Intervention im öffentlichen Raum. Öffentliche Aktionen, ephemere Architekturen, gemeinsame Bauwerkstätten sind einige der Werkzeuge, mit denen das Kollektiv in die Reaktivierung von Gemeinschaftsräumen eingreift. Durch Aktionen und Prozesse der Reaktivierung von kollektiven Orten werden Räume belebt, sowohl direkt in Form von “offenen Baustellen” als auch indirekt durch Installationen.
Ziel dieser “urbanen Landschaftsmaschinen” ist es, eine kollektive Imagination zu schaffen, Emotionen, Reflexionen, Gewohnheiten und Verhaltensweisen zu stimulieren, die Interaktion zu fördern und die Bewohner*innen in die Neudefinition der Nutzung und Konfiguration von Raum einzubeziehen.
Campomarzio ist ein Architektenkollektiv, das praxisbezogene und theoretische Erfahrungen in den Bereichen Architektur, Urbanismus, Forschung und visuelle Kommunikation vereint, um Projekte und Strategien für öffentliche und private Auftraggeber zu entwickeln.
Jetzt und bald
AUSSTELLUNG :: Binta Diaw :: Collective Practices – A Living Experience of Feeling ListenedÜber Lungomare
Lungomare, 2003 in Bozen gegründeter Kulturverein, versteht sich als ein Projektraum, in dem auf das Bedürfnis und die Notwendigkeit reagiert werden kann, Ideen, Meinungen, Erfahrungen und Differenzen auszutauschen und kulturelle Aktivitäten in ihrem politischen und sozialen Kontext zu erfahren. Lungomare erforscht und erprobt in seinen Projekten das Beziehungsgeflecht zwischen Design, Architektur, Stadtplanung, Kunst und Theorie und präsentiert diese anhand unterschiedlicher Formate: Publikumsgespräche, Symposien, Publikationen, Ausstellungen und Interventionen im öffentlichen Raum. Sie sind darauf ausgerichtet, in die kulturellen und sozio-politischen Prozesse des von Lungomare bespielten Territoriumseinzugreifen. Aktuell konzentrieren sich die Aktivitäten von Lungomare auf Projekte langfristiger Residencies: Die Gäste von Lungomare sind eingeladen, sich im und mit dem Kontext Südtirol auseinander zu setzen und in diesem zu agieren. Die Aktivitäten von Lungomare sind an folgenden drei Prinzipien ausgerichtet: eine spezifische Aufmerksamkeit für das Umfeld, in dem die Projekte durchgeführt werden, der transdisziplinäre Zugang, der sie kennzeichnet und die Reflexion über die Rolle von Lungomare als Kulturinstitution im Kontext seines bespielten Ortsgebietes.
ChronologieTerritorium
Lungomare befindet sich am Ortsrand von Bozen, der Hauptstadt Südtirols und versucht die Bezüglichkeiten zu seinem Umfeld anschaulich zu machen, indem es seine verändernden Dynamiken thematisiert. Bozen ist durch eine Mischung dichter Wohngebiete und ausgedehnter Grünflächen charakterisiert. Letztere werden weitgehend landwirtschaftlich genutzt und durchdringen vielerorts und bis ins Zentrum das urbane Stadtgebiet, was der Stadt eine landschaftlich pittoreske und besondere Note verleiht. Die es umringenden Berge tragen ebenso zum hohen touristischen Image der Stadt Bozen und seiner Umgebung bei und sind unter anderem der Grund, warum die Region wirtschaftlich vor allem durch seinen Tourismus boomt. Die demografische Struktur der Stadt ist seit geraumer Zeit durch das Zusammenleben zweier Bevölkerungsgruppen, der deutsch- und der italienischsprachigen geprägt. Die soziale und demografische Zusammensetzung der Bevölkerung ist heute im Wandel. Migranten auch aus nichteuropäischen Ländern lassen sich hier nieder oder durchqueren die Region, zum Teil auf der Suche nach politischem Asyl