translating tradition
Traditionen und Bräuche geben Auskunft über Lebensformen, über gesellschaftliche und soziale Zusammenhänge einer bestimmten Geschichte und eines Umfeldes; sie verkörpern einen Glauben und eine gewisse Vorstellung eines Volkes. Unsere Lebensweise, das, was wir essen, trinken und anziehen, wie wir wohnen, was wir feiern, Fragmente unserer Vorstellungen vom Leben und der Welt, all dies und weiteres ist Bestandteil von Überlieferungen einer Volkskultur. Anlass und Ausführung dieser Lebensweisen, Traditionen und Brauchhandlungen sind aber auch immer Wandlungen unterworfen; jedes Zeitalter pflegte, bewahrte oder entwickelte sie weiter; oder gab sie nicht zuletzt auch auf.
Das Projekt „translating tradition“ wirft einen Blick auf die Traditionen und Bräuche der Region Südtirol, und nimmt diese zum Ausgangspunkt, Tradition als Vehikel für nonverbale Kommunikation, angebunden an das Heute und an unser aktuelles Umfeld, zu thematisieren. Ein Hut, der mithilfe eines farbigen Bandes Auskunft gibt, ob ein Mann verheiratet, oder noch auf „Brautschau“ ist, eine blaue Bauernschurz, die werktags getragen, nur nachts abgelegt, und bei Feierabend aufgerollt und um den Bauch zusammengebunden wird, sind zwei Beispiele für Traditionen und Bräuche dieser nördlichsten Region Italiens.
„translating tradition“ reflektiert Traditionen und Bräuche Südtirols anhand unterschiedlicher gestalterischer Ausdrucksformen und Positionen, setzt sich mit der Symbolik und den Überlieferungen bestimmter Zeichen auseinander, und interpretiert sie neu. Südtirol mit seiner Geschichte ist der Ausgangspunkt des Projektes, internationale Gestalter sind ihre „Interpreten“; sie werfen von außen einen Blick auf gesellschaftliche und soziale Verknüpfungen aus der Geschichte dieser Region. Diese Wechselwirkung, sowie die Weiterentwicklung möglicher Potentiale nonverbaler Botschaften, die über sich und sein Umfeld Auskunft gegeben, ist Thema des Projektes. Denn jede Tradition und jeder Brauch enthält eine Geste, erzählt und verbildlicht mithilfe von Symbolen eine Facette aus dem Alltagsleben und den Vorstellung der Menschen, und trägt nicht zuletzt Botschaften nach außen. Einige Botschaften haben noch immer ihre Gültigkeit, andere gelten als überholt und finden nur noch schwer eine Anbindung an die heutigen Lebensauffassungen. Sie können aber Ausgangspunkt sein, Ideen und Vorstellungen neu zu formulieren und auch zu positionieren.
Die Kuratoren haben 10 Traditionen und Bräuche der Region Südtirol vorab gewählt und ihre Bedeutung beschrieben – diese bilden den Bezugspunkt des Projektes. An ihren Aussagen und Symboliken, und an ihrer Möglichkeit als „Kommunikator“ zu fungieren, wird weiter gedacht und weiter gearbeitet. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung werden in einer Ausstellung in Lungomare vorgestellt.
Ein Projekt im Rahmen von „parallelevents to Manifesta7“.
Lungomare
Die nördlichste Provinz Italiens war bis in das 20. Jahrhundert hinein eine sehr bäuerliche Region. Bis auf die wenigen Städte, die damals schon etablierte Handelszentren waren, lebte der Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Die bäuerliche Gesellschaft stellt heute einen nicht mehr so bedeutenden Anteil der Bevölkerung. Durch die Gebirgslandschaft, in der die Berghöfe mit unter sehr einsam liegen, werden alte Traditionen und Bräuche immer noch gelebt. Doch die Herkunft wird auch in einfacher zugänglichen Gebieten sehr gepflegt und die Traditionen, Bräuche und Trachten stolz bewahrt und gezeigt, auch wenn nicht immer bewußt ist, woher sie eigentlich stammen.
Für das Ausstellungsprojekt „translating tradition“ im Mai 2008 in der Galerie Lungomare wurden unterschiedlichste Traditionen ausgewählt, die unterschiedlicher Herkunft sind. Manche sind geografisch eingrenzbar auf wenige Täler, andere sind in ganz Südtirol oder sogar im ganzen Alpenraum zu finden.
Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, das die Objekte auch Kommunikationsmittel für „stumme Botschaften“ darstellen. Bei manchen gilt dies jedoch nur als Zusatzfunktion.
Die gewählten Traditionen sprechen immer wieder kehrende Themen an, welche früher vordergründig waren. Es ging dabei um die Arbeitssuche bzw. um die Arbeit am Hof und den dabei entstehenden Beziehungen, um den Familienstand, also um das ledig oder verheiratet sein und um die Beziehung zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, zwischen dem Bauer, der Bäuerin, der Knechte und Mägde.
Der Sarner Hut hat neben seiner ursprünglichen Funktion der Kopfbedeckung auch eine kommunikative Eigenschaft. Mit roten oder grünen Bändern symbolisiert er den Frauen, ob sein Träger noch zu haben oder schon verheiratet ist. Bei der Kopfbedeckung von Denise Bonapace ist die kommunikative Seite des Hutes verallgemeinert in den Vordergrund getreten. Der Hut – der sowohl als Briefkuvert als auch als Kopfbedeckung funktioniert – befreit und visualisiert symbolisch Gedanken und Wörter, die im Kopf gefangen sind.
__fabrics interseason startet vom letzten Überbleibsel der männlichen Südtiroler Alltagstracht: dem blauen Schurz. Er wird noch heute von vielen Südtirolern stolz getragen. Die übliche Umnutzung, den Schurz als Saatkorb, zum Äpfel pflücken oder als „Aktentasche” bei Amtsgängen zu benutzen, war der Ausgangspunkt für die Bearbeitung des blauen Schurzes. Durch Druckknöpfe und Knoten wird aus dem Schurz ohne Schnittänderung und zusätzliche Naht eine funktionsfähige Tasche.
Im Alltag der Knechte und Mägde war der Besitz sehr karg. Doch egal wie arm, zum persönlichen Eigentum gehörte immer ein Löffel, der die Knechte und Mägde von Hof zu Hof, und somit von Arbeit zu Arbeit begleitet hat. Max Lamb hat den Gedanken des individuellen Essinstruments auf Material und Form übertragen und für die Ausstellung eine Serie von Löffeln geformt und ausgearbeitet. Wie früher auch, gleicht kein Löffel dem Anderen, und wird so zum individuellen Gebrauchsgegenstand.
Die Botschaften der Fächersprache, die Frauen erlaubte im 19. Jahrhundert ohne Worte mit Männern zu kommunizieren, wurde von Luisa Lorenza Corna in eine scheinbar bedeutungslose Druckgraphik interpretiert, die Botschaften erst durch das Falten preisgibt. Eine Vielzahl verschiedener Botschaften liegt auf derselben Ebene, so wie der Fächer eine Vielzahl von Bedeutungen senden kann. Die Art, wie wir Objekte benützen, verändern und verzerren, zeigen – gewollt oder ungewollt – Sprachfragmente und Wünsche der Menschen und deren Umfeld.
Direkt nach der Geburt war die Furcht vor Unglück, Hexen und Dämonen sehr groß. Das Neugeborene war noch nicht christlich getauft und so ungeschützt und wehrlos gegen böse Geister. Zum Schutz für die Wöchnerin und das Neugeborene kommen weibliche Verwandte und bringen Lebensmittel in weißer Farbe: Weißbrot, Hefegebäck, Eier oder Zucker. Das Eichhörnchen von Julia Lohmann und Gero Grundmann, der verschlüsselte Botschaften an das Kind enthält, vereint den Schutz und die guten Wünsche.
In verschiedenen Südtiroler Festtagstrachten trug die Bäuerin als Zeichen ihres Standes am Gürtel einen Schlüssel, Spicker oder ein Messer. Sie zeigte dadurch ihren Stand als Herrin über den Hof. Sophie Krier interviewte 10 Frauen, um nach ihren persönlichen „Schlüssel” und menschlichen Werten, die ihrer Meinung nach Wartung und Reparatur benötigen, zu recherchieren. Eine Auswahl der Antworten wurde in Interpretationen übersetzt, um persönliche Bedeutungen von Macht und das Bedürfnis nach Dialog festzuhalten und zu veranschaulichen.
Soundarbeit von Stefano Bernardi zum Thema “Ins Weißet gian”
Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Kulturabteilungen
Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Abteilung Handwerk Industrie und Handel
Tecnomag
EOS-Solutions for Business
Heinrich Gasser
Parkhotel Laurin
Jetzt und bald
AUSSTELLUNG :: Binta Diaw :: Collective Practices – A Living Experience of Feeling ListenedÜber Lungomare
Lungomare, 2003 in Bozen gegründeter Kulturverein, versteht sich als ein Projektraum, in dem auf das Bedürfnis und die Notwendigkeit reagiert werden kann, Ideen, Meinungen, Erfahrungen und Differenzen auszutauschen und kulturelle Aktivitäten in ihrem politischen und sozialen Kontext zu erfahren. Lungomare erforscht und erprobt in seinen Projekten das Beziehungsgeflecht zwischen Design, Architektur, Stadtplanung, Kunst und Theorie und präsentiert diese anhand unterschiedlicher Formate: Publikumsgespräche, Symposien, Publikationen, Ausstellungen und Interventionen im öffentlichen Raum. Sie sind darauf ausgerichtet, in die kulturellen und sozio-politischen Prozesse des von Lungomare bespielten Territoriumseinzugreifen. Aktuell konzentrieren sich die Aktivitäten von Lungomare auf Projekte langfristiger Residencies: Die Gäste von Lungomare sind eingeladen, sich im und mit dem Kontext Südtirol auseinander zu setzen und in diesem zu agieren. Die Aktivitäten von Lungomare sind an folgenden drei Prinzipien ausgerichtet: eine spezifische Aufmerksamkeit für das Umfeld, in dem die Projekte durchgeführt werden, der transdisziplinäre Zugang, der sie kennzeichnet und die Reflexion über die Rolle von Lungomare als Kulturinstitution im Kontext seines bespielten Ortsgebietes.
ChronologieTerritorium
Lungomare befindet sich am Ortsrand von Bozen, der Hauptstadt Südtirols und versucht die Bezüglichkeiten zu seinem Umfeld anschaulich zu machen, indem es seine verändernden Dynamiken thematisiert. Bozen ist durch eine Mischung dichter Wohngebiete und ausgedehnter Grünflächen charakterisiert. Letztere werden weitgehend landwirtschaftlich genutzt und durchdringen vielerorts und bis ins Zentrum das urbane Stadtgebiet, was der Stadt eine landschaftlich pittoreske und besondere Note verleiht. Die es umringenden Berge tragen ebenso zum hohen touristischen Image der Stadt Bozen und seiner Umgebung bei und sind unter anderem der Grund, warum die Region wirtschaftlich vor allem durch seinen Tourismus boomt. Die demografische Struktur der Stadt ist seit geraumer Zeit durch das Zusammenleben zweier Bevölkerungsgruppen, der deutsch- und der italienischsprachigen geprägt. Die soziale und demografische Zusammensetzung der Bevölkerung ist heute im Wandel. Migranten auch aus nichteuropäischen Ländern lassen sich hier nieder oder durchqueren die Region, zum Teil auf der Suche nach politischem Asyl