Kritische Komplizenschaft / Critical Complicity
Komplizenschaft ist eine mikrogemeinschaftliche Allianz, die an den Rändern etablierter Ordnungssysteme operiert. Ihr kritisches Potenzial entsteht durch die Vielfalt subversiver Handlungsmodelle, die in der Grauzone unlauterer Übereinkünfte entstehen. Kern des Projekts Kritische Komplizenschaft / Critical Complicity ist eine Topologie des Komplizenhaften; drei Aspekte, die wir als wesentliche Orte alternativen künstlerischen Denkens und Handelns erachten: Die Übergänge von Makro- und Mikrogemeinschaft; das Moment der Interdependenz und seine taktischen Medien sowie Spannungsfeld legal/illegal inklusive von Affekt und Verführung. Ziel ist es, gegenwärtigen Partizipationskonjunkturen zu widerstehen und eine Reflexion und Reaktivierung künstlerischer Referenzen jenseits der ausgetretenen Pfade zu ermöglichen. Kritische Komplizenschaft / Critical Complicity denkt daher den Ort seiner Entfaltung mit und spaltet ihn auf: In der Galerie Skuc in Ljubljana; der Kunsthalle Exnergasse in Wien und gemeinsam mit Lungomare in Bozen, werden die konkreten Präsentations- und Arbeitsbedingungen der Ausstellungen reflektiert.
Für die Konzeption der Südtiroler Station von Kritische Komplizenschaft / Critical Complicity war es grundlegend, die verhältnismäßig klassische Ausstellungssituation des ersten Projektteils in der Kunsthalle Exnergasse aufzubrechen und weiterzudenken. Parallel zur Präsentation der künstlerischen Arbeiten in Wien, soll in Bozen das Potential der dort geführten stadträumlichen Debatten genutzt werden, um einen Parcours in der Grauzone von privatem und öffentlichem Raum zu entwerfen. Komplizenschaft soll auf diese Weise als unmittelbar in die Alltagssituation der ProduzentInnen und BetrachterInnen eingebunden erfahrbar werden. Das Medium der Performance, auf dass sich dieser Sequenz konzentriert, unterstützt die Direktheit und Dinglichkeit des Nachdenkens über Grauzonen. Eine begleitende Buchpublikation mit einer Einführung, grundlegenden Artikeln und Künstlerbeiträgen zur kritischen Komplizenschaft wird als Diskussionsgrundlage zur Verfügung stehen.
Lungomare, Frauenarchiv, Palais Pock, Casa Tabarelli
What will I not regret later?
Do 25.11.2010, 19:00 Uhr
Lungomare
Präsentation des Projektes mit Lisa Mazza und Julia Moritz
FRAZIONI MULTIPLE I, Anna Scalfi — Installation
TRUE MIRROR MICROFICHE, Dexter Sinister — Installation
Fr 26.11.2010, 18:00 Uhr
Frauenarchiv, Pfarrplatz 15, Bozen
WHAT WILL I NOT REGRET LATER? — Performance
Sa 27.11.2010, 18:00 Uhr
Palais Pock, Musterplatz 2, Bozen
QUESTIONNAIRE PROJECT, Tanja Ostojic — Screening, Performance
So 28.11.2010, 12:30 Uhr
Casa Tabarelli, Schöne Aussicht 13, Girlan
CHARTREUSE JEUNE — Arrangement von Olaf Nicolai
Beiträge: Julieta Aranda, John Armleder, Elisabetta Benassi, Karla Black, Monica Bonvicini, Thomas Demand, Jason Dodge, Dora García, Piero Golia, Douglas Gordon, Karl Holmqvist, Carsten Höller, Jonathan Monk, Carsten Nicolai, Mai-Thu Perret, Anri Sala, Kelly Schacht, Tilo Schulz
Weitere Projektpartner:
Kunsthalle Exnergasse, Wien – Ausstellung 11.11. – 18.12.2010
Galerija Skuc, Ljubljana – Plattform 27.01. – 30.01.2011
Schlebrügge.Editor – Publikation
Im Rahmen des Projektes Kritische Komplizenschaft / Critical Complicity ist in Zusammenarbeit mit Lungomare Bozen-Bolzano eine Publikation erschienen.
Herausgeberinnen: Lisa Mazza, Julia Moritz
mit Beiträgen von: Hans Haacke, Olaf Nicolai, Ahmet Ögüt, Tanja Ostojic, Dexter Sinister, Barbara Steiner, Gesa Ziemer, etc.
Design: Lupo & Burtscher
Verlag: Schlebrügge.Editor, Wien
ISBN 978-3-85160-186-2
Kritische Komplizenschaft / Critical Complicity auf issuu.com
Bestellung des Buches über: info@lungomare.org
Anna Scalfi, Installation
Ein Gespräch zwischen Gianfranco De Bertolini, Anna Scalfi, Cesare Pietroiusti, Angelika Burtscher und Daniele Lupo
„Frazioni Multiple“ ist eine Reihe von Interventionen, welche die Vorgehensweise, den Wert einer künstlerischen Arbeit auf Editionen zu verteilen, zum Inhalt des Werkes selbst macht. Die beim Verkauf von Kunstwerken in der Regel angewandte Modalität wird zum Ausgangspunkt für eine Serie von Arbeiten, die aus Teilen eines Ganzen und nicht aus Editionen eines Gleichen besteht. Ausgangspunkt ist ein einziges Stück, welches in Elemente zerlegt wird, die einzeln verkäuflich sind. Beim Kauf wird vertraglich festgelegt, anlässlich einer eventuellen Ausstellung, die singulär erworbenen Einzelteile zur Verfügung zu stellen, um das Werk als Gesamtes zeigen zu können. Die BesitzerInnen von jedem einzelnen Teil stehen so in einer Eigentumsbeziehung zueinander, welche sich nicht ausschließlich auf das ästhetische Objekt bezieht, sondern auch alle zukünftigen Besitzer vertraglich untereinander bindet. Die formale Komponente äußert sich neben dem ausgewählten und geteilten Objekt auch im Inhalt des Vertrages, welcher die Beziehung zwischen den Einzelteilen definiert und dabei die Idee des Gesamtkunstwerkes beibehält. Der Verkaufsvorgang der Arbeiten erfolgt in einem Prozess, der diese Dynamiken zum Vorschein bringt und die Modalitäten des Verkaufs eines Kunstwerkes und die Rechtfertigung seiner Preissetzung und seines Marktwertes reflektiert.
Ausgehend von Anna Scalfi’s „Frazione Multiple I“ wird die Künstlerin im Gespräch mit Cesare Pietroiusti, Künstler und Galerist von Anna Scalfi, dem Sammler und Anwalt Giancarlo de Bertolini und den Lungomare Gründungsdirektoren Angelika Burtscher und Daniele Lupo. Es wird den Fragen von Autorenschaft, den Mechanismen hinter dem Verkauf von Kunstwerken und den damit verbundenen normativen Vereinbarungen, aber auch der Wertdefinition eines Kunstwerkes und der Frage der Teilbarkeit des Wertes eine Kunstwerkes nachgegangen.
Talk: Frazioni Multiple I, 25/11/2010
Dexter Sinister, Installation
Ausgehend von ihrer Tätigkeit als Gestalter von Druckvorlagen führte das Interesse von Dexter Sinister, die Themen des Publizierten selbst in den Mittelpunkt zu setzen, zur Herausgabe des Magazins dot dot dot dessen Veröffentlichungsveranstaltungen bald zu eigenständigen performativen Ereignissen wurden. Die in Bozen präsentierte Installation „True Mirror Microfiche“ (2008) ist zugleich eine lose Sammlung von sogenannten „Pressemitteilungen“ und eine darauf folgende performative Lesung, die u.a. im Institute for Contemporary Arts in London 2009 präsentiert wurde. Beide Formate kritisieren zum Beispiel die großstädtischen Medien, Geschwindigkeit, den Reiz des Neuen etc.
Doch „True Mirror Microfiche“ ist keinesfalls nur ein Buch oder eine Performance; die Arbeit setzt mit großer List jene Form der Wahrheit in Szene, die durch die Verbreitung selbst geschaffen wird. So werden neben den eigentlichen Mikrofiches, das speziell gestaltete Skript sowie der filmische „Trailer“ dieses nicht filmisch dokumentierten Events gezeigt. Die„Kritik“ des Werks ist etwas, das automatisch aus einem vornehmlichen Interesse an Rhetorik, Distribution usw. hervorgeht. Jedes „kritische Potenzial“ wird dadurch aktiviert, wie es in anderen Köpfen weiterlebt (oder nicht) und in welchen anderen Formen es auftritt (oder nicht). Das Problem ist, dass genau dies nicht gemessen werden kann.
Performance
Freitag, 26.11.2010, 18.00, Frauenarchiv, Pfarrplatz, 15, Bozen
A. Ich trete nicht als AutorIn von Arbeiten auf und möchte mit euch besprechen, wie wir im Folgenden damit umgehen sollen. Es würde bedeuten, dass ich es vorziehe, nicht auf oder in den Werbematerialien usw. genannt zu werden; vielmehr versuche ich, mit euch eine Lösung dafür zu finden, wie man beschreiben kann, was stattdessen kommen wird. Ich habe mich dafür entschieden, da es mir die Möglichkeit bietet, einige meiner Gedanken über die Herstellung von Situationen zu verfolgen, die sich nicht so sehr an den Ideen einer einzelnen Person festmachen, sondern Ideen, einzelne Charaktere und das Potenzial einer Veranstaltung / Atmosphäre in dem Moment aufgreift, in dem Ideen entstehen, die nicht einer bestimmten Person zugeschrieben werden können oder die nicht auf einer beständigen Sprecherperspektive basieren. Die Begegnung an sich bietet hingegen die Chance, herauszufinden, wo genau man sich mit anderen in einer gegebenen Zeit situiert.
B. Ich habe das Gefühl, dass diese Dinge sehr viel miteinander zu tun haben, da das Moment der Unschärfe individueller Autorschaft immer wieder in Situationen oder Handlungen auftaucht, vor allem in denjenigen mit Bezug zu normativen (rechtlichen / moralischen) Konventionen. Dies zeigen wir in unserem Konzept auf und wollen es über die theoretischen Texte des Buches weiter ausführen. Was denkst du darüber?
C. Es könnte ein Problem darstellen, dass Personen sich nicht einer Person annähern möchten, die nicht ihren Namen preisgibt. Es könnte so erscheinen, als würdest du eine Art Privileg ausüben, das allein dir als eingeladene Person verfügbar ist und das innerhalb dieses Kontexts eine gewisse Verfügungsgewalt unterstellt.
Tanja Ostojic, Performance incl. Screening
Samstag, 27.11.2010, 18.00, Palais Pock, Musterplatz 2, Bozen
„Questionnaire Project“, (2006-2010) ist ein langfristig angelegtes Rechercheprojekt, das im Rahmen von „Kritische Komplizenschaft / Critical Complicity“ in Form eines „Art Bond“ von Tanja Ostojic im Auftrag der Art & Economics Group als Auktionsperformance präsentiert wird. Das „Questionnaire Project“ basiert auf Fragebögen, die in den Jahren 2006 und 2007 an Institutionen und Ausstellungsprojekte versandt wurden, zu denen die Künstlerin eingeladen wurde. Die Beantwortung und Einreichung dieser Fragebögen und die damit einhergehende Aufdeckung der finanziellen Struktur des Projekts waren notwendig, um seitens der Künstlerin zu entscheiden, ob sie mit der Institution im Rahmen des vorgeschlagenen Projekts kollaborieren wollte.
Viele Institutionen legen ihre Projektbudgets grundsätzlich nicht offen und haben dementsprechend diese künstlerische Recherche entweder als Beleidigung aufgefasst oder die Beantwortung des Fragebogens endlos verzögert. Das Resultat dieses Vorgehens war demnach, dass die Anzahl der Ausstellungen, an denen Tanja Ostojic in den Jahren 2006-2007 teilnahm, stetig abnahm und dies auch ihr Ranking unter www.artfacts.net negativ beeinflusste. Die Art & Economics Group, 2007 in Berlin von Tanja Ostojic, David Rych und Dmytri Kleiner gegründet, untersucht die Schnittstellen von Kunst und politischer Ökonomie. In den ersten zwei Jahren fanden regelmäßig alle drei Monate Foren der Art & Economics Group in Berlin veranstaltet. Themen sind u. a. die politische Ökonomie als künstlerisches Thema, die Ökonomien künstlerischer Produktion oder wirtschaftliches Handeln als aktionsbasierte Kunstpraxis.
Neben der Auktion von „Art Bonds“ wird der Film „The Great Contemporary Art Bubble“ (60 Minuten, englische Sprache) gezeigt. Der Film des britischen Kunstkritikers und Filmemachers Ben Lewis untersucht den Aufstieg und Fall des Kunstmarktes in den Jahren 2008 und 2009. Nach der Filmvorführung ist eine Diskussion mit dem Publikum geplant.
Ein Arrangement von Olaf Nicolai
Sonntag, 28.11.2010, 12.30 – 15.00, Casa Tabarelli, Schöne Aussicht 13, Girlan
With contributions from Julieta Aranda, John Armleder, Elisabetta Benassi, Karla Black, Monica Bonvicini, Thomas Demand, Jason Dodge, Dora García, Piero Golia, Douglas Gordon, Karl Holmqvist, Carsten Höller, Jonathan Monk, Carsten Nicolai, Mai-Thu Perret, Anri Sala, Kelly Schacht and Tilo Schulz
“The world wishes to be deceived, certainly. Yet if you don’t, it will be seriously angry.” These are the last sentences of Walter Serner’s manifesto “Letzte Lockerung” (“Last Loosening”), first published 90 years ago and accompanied by the following subtitle in its final version in 1927: “A Handbook for the Con Man”. At a time when Dadaism had arrived on the art market, Serner’s text performs the valediction and parting from this movement, in order to propagate subtle speculation, devoid of illusions, as a strategy of self-assertion from then on. At the outset, he suggests that each reader consume a heavy meal of several courses before reading, served with the digestif Chartreuse jaune. This forms the initial reference for Chartreuse jeune, the title heading Olaf Nicolai’s intervention at the Casa Tabarelli, a private residential building in the vicinity of Bolzano designed by Carlo Scarpa in 1967 which has remained relatively unknown until today. Nicolai has invited seventeen artists to create works specifically for this location and occasion which he in turn will implement according to their instructions. The range of the repertoire spans from a subtle gesture over the installation of objects to performance. The composition of Chartreuse jeune thereby creates a camouflage that transforms the history and atmosphere of the building, whereby the exact line of the border between pre-existing interior and intervention remains unclear to the visitor.
In this context, Nicolai’s work particularly emphasises the animation of the “critical complicity” as a strategy of confusion and attraction of attention focused in this case on the Casa Tabarelli—an architecturally highly significant building that to this day is not treated as a cultural heritage worth conservation by the public authorities.
Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Kulturabteilungen
Stiftung Südtiroler Sparkasse
Parkhotel Laurin
Kellerei Alois Lageder
Partner:
Heinz Peter Hager, Frauenarchiv Bozen, Laura Tabarelli
Jetzt und bald
AUSSTELLUNG :: Binta Diaw :: Collective Practices – A Living Experience of Feeling ListenedÜber Lungomare
Lungomare, 2003 in Bozen gegründeter Kulturverein, versteht sich als ein Projektraum, in dem auf das Bedürfnis und die Notwendigkeit reagiert werden kann, Ideen, Meinungen, Erfahrungen und Differenzen auszutauschen und kulturelle Aktivitäten in ihrem politischen und sozialen Kontext zu erfahren. Lungomare erforscht und erprobt in seinen Projekten das Beziehungsgeflecht zwischen Design, Architektur, Stadtplanung, Kunst und Theorie und präsentiert diese anhand unterschiedlicher Formate: Publikumsgespräche, Symposien, Publikationen, Ausstellungen und Interventionen im öffentlichen Raum. Sie sind darauf ausgerichtet, in die kulturellen und sozio-politischen Prozesse des von Lungomare bespielten Territoriumseinzugreifen. Aktuell konzentrieren sich die Aktivitäten von Lungomare auf Projekte langfristiger Residencies: Die Gäste von Lungomare sind eingeladen, sich im und mit dem Kontext Südtirol auseinander zu setzen und in diesem zu agieren. Die Aktivitäten von Lungomare sind an folgenden drei Prinzipien ausgerichtet: eine spezifische Aufmerksamkeit für das Umfeld, in dem die Projekte durchgeführt werden, der transdisziplinäre Zugang, der sie kennzeichnet und die Reflexion über die Rolle von Lungomare als Kulturinstitution im Kontext seines bespielten Ortsgebietes.
ChronologieTerritorium
Lungomare befindet sich am Ortsrand von Bozen, der Hauptstadt Südtirols und versucht die Bezüglichkeiten zu seinem Umfeld anschaulich zu machen, indem es seine verändernden Dynamiken thematisiert. Bozen ist durch eine Mischung dichter Wohngebiete und ausgedehnter Grünflächen charakterisiert. Letztere werden weitgehend landwirtschaftlich genutzt und durchdringen vielerorts und bis ins Zentrum das urbane Stadtgebiet, was der Stadt eine landschaftlich pittoreske und besondere Note verleiht. Die es umringenden Berge tragen ebenso zum hohen touristischen Image der Stadt Bozen und seiner Umgebung bei und sind unter anderem der Grund, warum die Region wirtschaftlich vor allem durch seinen Tourismus boomt. Die demografische Struktur der Stadt ist seit geraumer Zeit durch das Zusammenleben zweier Bevölkerungsgruppen, der deutsch- und der italienischsprachigen geprägt. Die soziale und demografische Zusammensetzung der Bevölkerung ist heute im Wandel. Migranten auch aus nichteuropäischen Ländern lassen sich hier nieder oder durchqueren die Region, zum Teil auf der Suche nach politischem Asyl