Utopia Europa
Mit Welche Krise? Welche Angst? Welche Grenze?
laden wir dazu ein, Begriffe, die zur Zeit allgegenwärtig sind und beinahe wie eine Naturgewalt unsere Sicht auf die Gegenwart prägen, neu zu untersuchen. Sie einmal von uns zu halten und zu fragen: Sind es die richtigen Wörter? Gibt es auch andere? Welche? Welche Wörter wünsche ich mir für die gegenwärtige Zeit und die Art, mit ihr umzugehen? Denn Wörter bestimmen nicht nur die Sicht auf die Zeit, sondern auch, wie wir auf sie reagieren. Im Bewusstsein der Angst? Im Bewusstsein einer Krise? Im Bewusstsein einer Grenze?
Südtirol
Lungomare
Literatur Lana
Neues Institut für Dramatisches Schreiben
Wenn sich, in Tagen und Zeiten wie diesen, Ereignisse überschlagen und Entwicklungen so wandeln, dass sie kaum fassbar werden, wird ein Sprechen schwer. Es wird auch schwer, wenn Trauer und Schrecken nicht ablassen von Tagesgeschehen, die unsere Welt beherrschen. Und es wird, zugegeben, noch einmal schwer, wenn Meinungen rasante Debatten und Diskurse anwerfen, als kriegten sie`s bezahlt.
Vielleicht ist aber ein Sprechen doch möglich, sobald es einen offenen Dialog aufsucht, der Fragen aus Denkprozessen heraus entwickelt und gesellschaftlich verankert? Vielleicht hat ein kulturelles Handeln, das die Welt in ihrer politischen Dimension aufsucht, doch eine Dringlichkeit des Sprechens? Vielleicht liegt auch darin ein Akt der gesellschaftlichen Verantwortung?
Das Projekt „Utopie Europa“, eine Initiative von Literatur Lana, Lungomare und NIDS, entwickelt sich als Beitrag der reflexiven Teilnahme an den Fragen und Ordnungen, die sich durch die jüngsten Migrationsbewegungen in Europa neu stellen. Dabei erhebt es keineswegs den Anspruch auf Zurechtweisung, auf Belehrung oder Bekehrung. Viel eher will das Projekt Unsicherheiten und Erfahrungen eines in Umbruch befindlichen Kontinents aufspüren und zu gestalten versuchen, ohne Versprechen auf Lösungen, sondern mit Ausblick auf einen offenen Ausgang, der stets eine Zivilgesellschaft des gegenseitigen Respekts und der Humanität vor Augen hat.
Angeknüpft wird dabei an das Konzept der „Utopie”, das die europäische Geschichte und Kulturgeschichte seit der Antike denkt. Wenn „Utopie” einerseits als Topos der nicht verortbaren Verortung gilt und damit als ständige Möglichkeit des Andersseins und Anderssehens; wenn eine Utopie andererseits die Vision einer besseren Gesellschaft entwirft und damit die Gestaltung von Zukunft im Visier hat, dann proklamieren Utopien, so oder so, einen Abschied von bestehenden Ordnungen. Was aber, wenn Utopien selbst verabschiedet werden, wie es jüngst der Idee Europa droht? Was ist ihr Gegenentwurf? Oder an wen und an welche Weltbilder geben sie die Vorstellung einer besseren Gesellschaft ab? Solche und ähnliche Fragen wurden durchgespielt, indem sie durch Gespräche und Erzählungen durchexperimentiert wurden und denk- und lebbare Möglichkeiten einer komplexen Gegenwart aufgezeigt wurden.
Eine Plakataktion im März hat den Schwerpunkt zum Thema der Utopie begleitet, das jede der drei Institutionen durch unterschiedliche Aktionen und Veranstaltungen verfolgt und gestaltet hat. Die Plakate haben Begriffe aufgegriffen, die so prägend durch unsere Gegenwart ziehen, dass sie unter ihrer Bedeutungslast auch schon undeutlich gewesen sind. Manchmal sind solche Wörter imstande, einem Erleben erst einen Namen zu geben, und manchmal wiederum lösen sie sich von dem Erleben, zu dem sie gehören, ab und kommen ihm gar nicht mehr bei. Und manche Male ziehen sie ein Denken nach sich, das mit ihnen erst einzieht in eine Gegenwart und plötzlich ein Narrativ wird. Was also stellen Begriffen mit uns und unserer Gesellschaft an? Und wovon erzählen sie, wenn sie in einer Vielfalt der Stimmen und Sprachen zur Rede kommen?
Jetzt und bald
AUSSTELLUNG :: Binta Diaw :: Collective Practices – A Living Experience of Feeling ListenedÜber Lungomare
Lungomare, 2003 in Bozen gegründeter Kulturverein, versteht sich als ein Projektraum, in dem auf das Bedürfnis und die Notwendigkeit reagiert werden kann, Ideen, Meinungen, Erfahrungen und Differenzen auszutauschen und kulturelle Aktivitäten in ihrem politischen und sozialen Kontext zu erfahren. Lungomare erforscht und erprobt in seinen Projekten das Beziehungsgeflecht zwischen Design, Architektur, Stadtplanung, Kunst und Theorie und präsentiert diese anhand unterschiedlicher Formate: Publikumsgespräche, Symposien, Publikationen, Ausstellungen und Interventionen im öffentlichen Raum. Sie sind darauf ausgerichtet, in die kulturellen und sozio-politischen Prozesse des von Lungomare bespielten Territoriumseinzugreifen. Aktuell konzentrieren sich die Aktivitäten von Lungomare auf Projekte langfristiger Residencies: Die Gäste von Lungomare sind eingeladen, sich im und mit dem Kontext Südtirol auseinander zu setzen und in diesem zu agieren. Die Aktivitäten von Lungomare sind an folgenden drei Prinzipien ausgerichtet: eine spezifische Aufmerksamkeit für das Umfeld, in dem die Projekte durchgeführt werden, der transdisziplinäre Zugang, der sie kennzeichnet und die Reflexion über die Rolle von Lungomare als Kulturinstitution im Kontext seines bespielten Ortsgebietes.
ChronologieTerritorium
Lungomare befindet sich am Ortsrand von Bozen, der Hauptstadt Südtirols und versucht die Bezüglichkeiten zu seinem Umfeld anschaulich zu machen, indem es seine verändernden Dynamiken thematisiert. Bozen ist durch eine Mischung dichter Wohngebiete und ausgedehnter Grünflächen charakterisiert. Letztere werden weitgehend landwirtschaftlich genutzt und durchdringen vielerorts und bis ins Zentrum das urbane Stadtgebiet, was der Stadt eine landschaftlich pittoreske und besondere Note verleiht. Die es umringenden Berge tragen ebenso zum hohen touristischen Image der Stadt Bozen und seiner Umgebung bei und sind unter anderem der Grund, warum die Region wirtschaftlich vor allem durch seinen Tourismus boomt. Die demografische Struktur der Stadt ist seit geraumer Zeit durch das Zusammenleben zweier Bevölkerungsgruppen, der deutsch- und der italienischsprachigen geprägt. Die soziale und demografische Zusammensetzung der Bevölkerung ist heute im Wandel. Migranten auch aus nichteuropäischen Ländern lassen sich hier nieder oder durchqueren die Region, zum Teil auf der Suche nach politischem Asyl