Osservatorio urbano # 4
Sette per Sette
Sieben Personen sitzen gemeinsam rund um einen Tisch und diskutieren. Jede Person interpretiert eine vorgegebene Rolle: ein Bürgermeister, ein Bewohner, ein Kaufmann, ein Tourist, ein Ausländer und ein Straßenkünstler. Nach einigen Minuten wird die Diskussion unterbrochen. Die Personen stehen auf und wechseln den Sitzplatz, sie interpretieren die nächste Rolle, eine neue Diskussionsrunde beginnt.
Die Ausgangsbedingungen, die Argumente und die Themen des Films beziehen sich auf die Stadt Florenz. Um aber anhand der kontextbezogenen Fragen die generelle Relevanz dieser Problematiken – die auch für andere Städte gelten – zu unterstreichen, bleibt die Stadt im Film namenlos. Es wird über das Verhältnis zwischen der Stadt, ihren Prachtbauten, und ihrem Massentourismus gesprochen; über Formen des Zusammenlebens zwischen einer außergewöhnlichen Nutzung und das normale Bewohnen der Stadt. Die Diskussion thematisiert wirtschaftsbezogene Fragen in Verbindung mit dem täglichen Touristenstrom, und die öffentliche Ordnung und Kontrolle (reale oder wahrgenommene) der Stadt.
Die Diskussionsteilnehmer sind keine Schauspieler, sie bringen ihre realen und persönlichen Erfahrungen in das Projekt mit ein. Sie interpretieren ihre Rollen als Individuen, welche die Stadt bewohnen, und reflektieren über die Möglichkeit unterschiedliche Blickwinkel und Bedürfnisse der im Film vertretenen Kategorien zu vergleichen. Die Szenarien dafür sind unzählige. Die Vergleiche entstehen anhand der unterschiedlichen Mentalitäten und Visionen der Personen, und ihren Rollen, die sie während der Diskussionsrunde für einige Minuten einnehmen.
Das Projekt “Sette per Sette” ist im Rahmen der Ausstellung Legal Disagreements, kuratiert von Matteo Cavalleri und Luisa Lorenza Corna für Millepiani in der Villa Romana in Florenz entstanden.
Villa Romana, Florenz
Osservatorio Urbano/Lungomare:
Drehbuch und Regie: Angelika Burtscher, Roberto Gigliotti, Daniele Lupo
Mit: Curzio Castellan, Claudio Degasperi, Riccardo Franchi, Gianpietro Gai, Andreas Pichler, Teodora Lara Rivadeneira, Monica Trettel
Fotografie: Daniel Mahlknecht
Schnitt und Ton: Stefano Bernardi
Die Stadt, mit der wir uns beschäftigen, ist Provinzhauptstadt und Zentrum eines weitläufigen großstädtischen Bereichs mit mehr als 1,5 Mio. Einwohnern. Heute hat sie 350.000 Einwohner, die zu ca. 90% italienischer Abstammung sind. Die ausländischen Communities der Stadt sind unterschiedlicher Herkunft (von Südöstasien bis Europa).
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Bürgermeister – als höchstes administratives und politisches Amt der Stadt unterschreibt der Bürgermeister Erlasse und zeichnet sich für sie verantwortlich. Außerdem managt er die problematische Situation, in der sich die Stadt befindet. Als politische Figur kommt dem Bürgermeister beträchtliche Sichtbarkeit zu. Er gibt die großen Entwicklungslinien vor.
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Der Bürgermeister eröffnet die Diskussion mit einer Intervention von max. 1 Minute. Er/sie präsentiert /seine/ihre Ziele und Visionen für die “Regulierung des menschlichen Miteinanders in der Stadt”.
Jede Diskussionsrunde dauert 15 Minuten.
Der Verhandlugnstisch ist ein Tisch der Diskussionsund keine Zusammenfassung von Treffen!
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2005 gründet der Projektraum Lungomare mit Sitz in Bozen die Plattform und das Netzwerk für urbane Strategien: Osservatorio Urbano. Dieses initiiert Projekte, um Lesearten und Beschreibungen der zeitgenössischen Stadt mittels einer interdisziplinären Annäherungsweise zu erörtern. Lungomare erforscht und erprobt in seinen Projekten das Beziehungsgeflecht zwischen Design, Architektur, Stadtplanung, Kunst und Theorie; die Darstellungs- und Vermittlungsformen passen sich den jeweiligen Fragestellungen an und variieren von Diskussionen, Symposien, Publikationen, Ausstellungen bis hin zu Interventionen im öffentlichen Raum.
Als Forschungsfeld und Ausgangspunkt für das Osservatorio Urbano wird immer wieder die Stadt Bozen definiert, dabei wird das physische und soziale Gefüge der Stadt beobachtet und analysiert, und mit Fragestellungen in Bezug auf die Entwicklung anderer europäischer Städte in Beziehung gesetzt. Bozen verdankt ihren eigentümlichen und ungewöhnlichen Charakter der Tatsache, dass hier seit den Zwanzigerjahren zwei Bevölkerungsgruppen, deutscher und italienischer Sprache, zusammenleben, und ganz bewusst den Stadtraum individuell abstecken, definieren und sich über ihn identifizieren. Die Stadt scheint für Brachliegendes oder Baufälliges und für urbane Freiräume und Spontaneität keinen Platz zu haben, jedes Grundstück wird intensiv zur Bebauung oder für die Landwirtschaft genutzt. Bozen ist die Landeshauptstadt einer der reichsten Provinzen Norditaliens, die Selbstverständlichkeit, sich aktiv an der Gestaltung des urbanen Raums zu beteiligen, und nach einer gemeinsamen Vision zu suchen, gestaltet sich somit als wesentlich komplexer.
Das Osservatorio Urbano möchte die Bewohner der Stadt aktivieren, ihre alltägliche Umgebung – ihr individuelles, nicht technisches und disziplinenübergreifendes Wissen – zu reflektieren und zu teilen. Das Bewusstsein für die Emotionalität, die Verknüpfung von Raum und Zeit, und die Toleranz für Imperfektion, Komplexität und Widersprüchlichkeit soll wachsen. Die Bevölkerung soll sich ihrer aktiven und kreativen Rolle bewusst werden und als urbaner „Experte“ an den Transformationen der Stadt teilnehmen. Der Stadtraum wird zu einem Produkt der Gesellschaft und zugleich zum Ort der Produktion und Reproduktion derselben.
12. Mai 2011
„urban matters – Für eine neue Rolle von Kunst im Kontext urbaner Entwicklungen“
Vortrag von Barbara Holub (transparadiso, Wien)
Screening: „Sette per Sette“
(Video, Produktion von Lungomare / Osservatorio Urbano)
Barbara Holub präsentiert Projekte aus ihrer / transparadisos Praxis und stellt urban-matters.org vor: Wie kann künstlerisch-urbanes Handeln zu neuen Tools, Taktiken und Strategien führen, die die Komplexität aktueller Herausforderungen von Stadtentwicklung als gesellschaftspolitische Verantwortung jenseits neoliberalen Pragmatismus behandeln?
urban-matters.org ist Teil des Forschungsprojekts Planning Unplanned, das Barbara Holub am Institut für Kunst und Gestaltung, TU Wien, leitet. Im Zentrum steht dabei die Frage von „Planbarkeit“ vor dem Hintergrund sich permanent verändernder Parameter, denen konventionelle Methoden wie der Masterplan nicht mehr gerecht werden können.
Planning Unplanned untersucht die Möglichkeit einer neuen Rolle künstlerisch-urbanen Handelns im Zusammenhang von Stadtentwicklung, die Rolle des „urban practitioners“. Diese basiert auf den aktuellen künstlerischen und experimentellen-urbanistischen Praktiken, die in den letzten 10 Jahren allzu oft für kurzfristige Events zur Aktivierung vergessener Räume, für Problemlösungen wie dem Schaffen von Identität neuer Stadtviertel oder dem Herstellen von Kommunikation in urbanen Konfliktsituationen mißbraucht wurden, anstatt diese Praktiken als langfristiges und verantwortungsvolles Eingreifen in gesellschaftspolitische Prozesse zu begreifen, das der Komplexität dieser Prozesse Rechnung trägt.
Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Kulturabteilungen
produziert mit der freundlichen Unterstützung von Villa Romana (Florenz)
Jetzt und bald
AUSSTELLUNG :: Binta Diaw :: Collective Practices – A Living Experience of Feeling ListenedÜber Lungomare
Lungomare, 2003 in Bozen gegründeter Kulturverein, versteht sich als ein Projektraum, in dem auf das Bedürfnis und die Notwendigkeit reagiert werden kann, Ideen, Meinungen, Erfahrungen und Differenzen auszutauschen und kulturelle Aktivitäten in ihrem politischen und sozialen Kontext zu erfahren. Lungomare erforscht und erprobt in seinen Projekten das Beziehungsgeflecht zwischen Design, Architektur, Stadtplanung, Kunst und Theorie und präsentiert diese anhand unterschiedlicher Formate: Publikumsgespräche, Symposien, Publikationen, Ausstellungen und Interventionen im öffentlichen Raum. Sie sind darauf ausgerichtet, in die kulturellen und sozio-politischen Prozesse des von Lungomare bespielten Territoriumseinzugreifen. Aktuell konzentrieren sich die Aktivitäten von Lungomare auf Projekte langfristiger Residencies: Die Gäste von Lungomare sind eingeladen, sich im und mit dem Kontext Südtirol auseinander zu setzen und in diesem zu agieren. Die Aktivitäten von Lungomare sind an folgenden drei Prinzipien ausgerichtet: eine spezifische Aufmerksamkeit für das Umfeld, in dem die Projekte durchgeführt werden, der transdisziplinäre Zugang, der sie kennzeichnet und die Reflexion über die Rolle von Lungomare als Kulturinstitution im Kontext seines bespielten Ortsgebietes.
ChronologieTerritorium
Lungomare befindet sich am Ortsrand von Bozen, der Hauptstadt Südtirols und versucht die Bezüglichkeiten zu seinem Umfeld anschaulich zu machen, indem es seine verändernden Dynamiken thematisiert. Bozen ist durch eine Mischung dichter Wohngebiete und ausgedehnter Grünflächen charakterisiert. Letztere werden weitgehend landwirtschaftlich genutzt und durchdringen vielerorts und bis ins Zentrum das urbane Stadtgebiet, was der Stadt eine landschaftlich pittoreske und besondere Note verleiht. Die es umringenden Berge tragen ebenso zum hohen touristischen Image der Stadt Bozen und seiner Umgebung bei und sind unter anderem der Grund, warum die Region wirtschaftlich vor allem durch seinen Tourismus boomt. Die demografische Struktur der Stadt ist seit geraumer Zeit durch das Zusammenleben zweier Bevölkerungsgruppen, der deutsch- und der italienischsprachigen geprägt. Die soziale und demografische Zusammensetzung der Bevölkerung ist heute im Wandel. Migranten auch aus nichteuropäischen Ländern lassen sich hier nieder oder durchqueren die Region, zum Teil auf der Suche nach politischem Asyl